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22. Mai 2023 – Der Zustand der Artenvielfalt in unserem Land ist unbefriedigend: Fast die Hälfte aller Lebensräume und ein Drittel aller Arten sind bedroht. Dadurch sind lebenswichtige Leistungen wie die Bestäubung von Obstbäumen oder die CO2-Speicherung nicht mehr gewährleistet. Eine Trendumkehr kann nur gelingen, wenn wir uns gemeinsam für den Schutz der biologischen Vielfalt einsetzen. Die bereits ergriffenen Förder- und Pflegemaßnahmen zeigen, dass sich der Aufwand auszahlt.

Die Schweizer legen großen Wert auf die Natur. Dies geht beispielsweise aus einer Studie des Sotomo Research Institute aus dem Sommer 2022 hervor. Auf die Frage „Was bedeutet Wohlstand für Sie?“ Die meisten Befragten (62 %) sprachen nicht davon, „Geld für schöne Dinge zu haben“ oder „reisen zu können“, sondern von „unberührter Natur“. Doch die unberührte, vielfältige Natur ist weit mehr als ein Luxus, ohne den wir nicht leben können: Sie ist die Grundlage unserer Existenz. Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen regulieren das Klima, reinigen Luft und Wasser, dienen unserer Gesundheit und leisten einen wichtigen Beitrag zur Lebensmittelsicherheit.
Eine hohe Artenvielfalt ist auch der beste Garant dafür, dass uns diese Leistungen auch in Zukunft in ausreichender Qualität zur Verfügung stehen. Beispielsweise werden Obstbäume umso gründlicher bestäubt, je mehr Wildbienen beteiligt sind. Denn verschiedene Arten fliegen zu unterschiedlichen Zeiten und bei unterschiedlichen Wetterbedingungen. Sie haben auch unterschiedliche Blumenvorlieben und Sammeltechniken.
- Es bestehen weiterhin Bedrohungen für Tier- und Pflanzenarten
- Mittelland unter der Lupe
- Revitalisierungs- und Biodiversitätsförderflächen verbessern die Situation
- Biodiversität in Berggebieten: ein wertvolles Gut
- Vielfältige und erfolgreiche Werbeaktionen im Wald
- Für mehr Natur, auch in der Stadt
- Neue Veröffentlichungen zum Zustand der Biodiversität
Es bestehen weiterhin Bedrohungen für Tier- und Pflanzenarten
Ein neuer Bericht überDer Zustand der Biodiversität in der Schweiz(BAFU, 2023) und das aktuelleSynthese der Roten Listen(BAFU, 2023) zeigen jedoch, dass die Qualität und Vernetzung vieler Lebensräume nicht ausreicht, um die Artenvielfalt unseres Landes langfristig zu erhalten. Fast die Hälfte der 167 geschätzten Lebensraumtypen (z. B. Quellen, offene Hochmoore, Heidewiesen) und 35 % der geschätzten rund 11.000 Pflanzen-, Pilz- und Tierarten in der Schweiz gelten als bedroht oder ausgestorben.

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Lebensraumqualität und Artenbedrohung: Die meisten bedrohten Tier-, Pilz- und Pflanzenarten sind auf bestimmte Lebensräume angewiesen. Sie können nicht einfach in einen anderen Lebensraum umziehen. Wenn die Qualität ihres Lebensraums abnimmt und die Vernetzung fehlt, steigt ihr Risiko vom Aussterben.

Mittelland unter der Lupe
Im nationalen Vergleich weist das Mittelland den höchsten Anteil an bedrohten Lebensräumen und Arten auf. Gebäude (z. B. Hecken, Baumreihen, Teiche, offene Bäche) und vielfältige Lebensräume fehlen. Straßen, Eisenbahnen und Siedlungen schneiden Lebensräume ab und blockieren die „Migrationsrouten“ der Wildtiere. Ein Großteil des Lebensraum- und Artenverlusts ereignete sich im 20. Jahrhundert. Die Qualität geht nach und nach verloren. Im Grasland fördern hohe Nährstoffeinträge Generalisten („Alltagsarten“) und führen zum Rückgang spezialisierter Arten.
Bundesüberwachungsprogramme zeigen, dass sich die Pflanzen- und Schmetterlingsartengemeinschaften in den Mittellandrasen immer ähnlicher werden und die Lebensraum- und Artenvielfalt dort deutlich geringer ist als im Berggebiet, obwohl die natürlichen Bedingungen im Mittelland eigentlich günstiger sind. Gemeinschaften monotoner Arten wie Graswiesen sehen nicht nur weniger üppig aus, sondern sind auch weniger resistent gegen Veränderungen.
Auch die Wälder sind hier weniger naturbelassen als in höheren Lagen: Anstelle von Laubwäldern dominieren auf dem Mittelland gebietsfremde Fichtenwälder, die in den letzten Jahrhunderten angepflanzt wurden. Die Artenvielfalt ist deutlich geringer als die standortgerechte Bestandsvielfalt. Auch zunehmende Hitze vertragen Fichten nicht und sind daher empfindlicher gegenüber Schädlingen wie Borkenkäfern.

Revitalisierungs- und Biodiversitätsförderflächen verbessern die Situation
Alles negativ? Gar nicht. In den letzten zehn Jahren wurden 156 km Fließgewässer wiederbelebt – ein großer Teil in Agrar- und Siedlungsgebieten des Mittellandes. Nahezu naturnahe Gewässer sind für den Erhalt der Artenvielfalt unerlässlich. Rund 80 Prozent aller in der Schweiz bekannten Pflanzen- und Tierarten kommen in Gewässern und in unmittelbarer Nähe von Küsten- und Überschwemmungsgebieten vor. Gewässer mit naturnahen Ufern spielen daher eine wichtige Rolle bei der Förderung der Artenvielfalt. Und nicht zuletzt bieten sie der Bevölkerung attraktive Naherholungsgebiete.
Auch auf den Agrarflächen gibt es positive Entwicklungen: Im letzten Jahrzehnt haben Landwirte viele neue Biodiversitätsförderungsgebiete (BFFs) geschaffen, darunter extensiv genutzte Wiesen und Weiden, Brachflächen, Hecken, Sträucher und Wildblumen. Mittlerweile bedecken BPAs fast 20 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Schweiz. Die ersten Ergebnisse des Monitoringprogramms „Arten und Lebensräume in der Landwirtschaft – Espèces et milieux agricoles“ (ALL-EMA) zeigen, dass BAF die Artenvielfalt auf Agrarflächen wirksam fördern kann. Denn im Vergleich zu landwirtschaftlich genutzten Flächen weist BAF eine größere biologische Vielfalt auf.
Besonders groß ist der Unterschied auf dem Mittelplateau; BFFs sind hier also besonders wichtig. Aber das ist noch nicht alles: Kulturlandschaften, die aus BFFs ausreichender Qualität bestehen und nachhaltig bewirtschaftet werden, ermöglichen die Kombination von Produktion und Förderung der Artenvielfalt.
Biodiversität in Berggebieten: ein wertvolles Gut
Im Gegensatz zum Mittelland verfügt die Bergregion noch über viele strukturreiche Landschaften mit hoher Artenvielfalt. Ob die Vielfalt der Lebensräume und Arten erhalten bleiben kann, hängt maßgeblich von der zukünftigen Nutzung der Wiesen und Weiden ab. Werden mehr Düngemittel eingesetzt oder Nutztiere auf ein Gebiet konzentriert, erhöht sich dort das Nährstoffangebot und die Artenvielfalt nimmt ab. Der Klimawandel erhöht auch den Druck auf die Artenvielfalt in alpinen Regionen.
Schon jetzt ist klar, dass an Kälte angepasste Pflanzen- und Schmetterlingsarten zunehmend von wärmeliebenden Arten verdrängt werden, die sich nun den höheren Lagen öffnen. Vielen „Kältespezialisten“ fällt es schwer, mit den veränderten Umgebungsbedingungen zurechtzukommen. Auch einige alpine Arten reagieren sehr empfindlich auf die zunehmende Zahl freier Aktivitäten in den Bergen.

Klimawandel – es wird eng für Arve
Die Zirbelkiefer ist die „Königin“ der oberen Waldgrenze – knorrige, bis zu 500 Jahre alte Bäume säumten einst in weiten Teilen der Alpen die Waldgrenze. Berglandwirtschaft, Wildjagd und Krankheiten sowie die langfristige Vernichtung von Nussknackern, die fälschlicherweise als Kiefernschädling bekämpft wurden, haben ihre Zahl verringert. Größere zusammenhängende Kiefernwälder gibt es in der Schweiz heute nur noch im Engadin und im Wallis. Jetzt kommt der Klimawandel: Die Zirbe droht von schnell wachsenden Konkurrenten aus tieferen Lagen – Fichten, Tannen, Tannen und Laubbäumen – verdrängt zu werden.
Es ist ungewiss, ob es ihnen im Laufe der Zeit gelingt, in höhere Lagen zu wandern, da die Schirmkiefern es mit der Fortpflanzung nicht eilig haben. Ausgewachsene Zapfen bilden sich erst im Alter von 40 bis 60 Jahren. Genetische Studien zeigen, dass junge Zirbelkiefern in tieferen Lagen Genvarianten aufweisen, die in wärmeren, trockeneren Klimazonen nicht mehr nützlich sind. Ihr Nachwuchs wird es daher schwer haben, mit der Konkurrenz mitzuhalten. Zudem können Pinienschirme nur dann wachsen, wenn ausreichend Rohhumus vorhanden ist. In großen Höhen ist dies vielerorts noch nicht der Fall, da die Bodenentwicklung ein äußerst langfristiger Prozess ist.
Vielfältige und erfolgreiche Werbeaktionen im Wald
Dank nachhaltiger Waldbewirtschaftung sind unsere Wälder relativ natürliche Ökosysteme mit hoher Artenvielfalt: Mehr als 40 % der endemischen Tier- und Pflanzenarten kommen im Wald vor. Die Bedeutung der Wälder für die Artenvielfalt ist daher enorm. Es bestehen jedoch weiterhin Lücken, so gelten immer noch rund 46 % der Käferarten, 20 % der Pflanzenarten, 15 % der Brutvogelarten und 10 % der Waldpilzarten als bedroht. Der Grund: In unseren Wirtschaftswäldern mangelt es an Totholz (trotz eines regional deutlichen Anstiegs in den letzten 30 Jahren), alten, absterbenden Baumriesen und Stämmen (Altholz), gestuften und vielfältigen Waldrändern sowie Feuchtgebieten und lichten Waldflächen, wo, danke Sie bevorzugen die Sonneneinstrahlung und sind wärmeliebende Arten.
Um die Situation zu verbessern, arbeiten mehrere Akteure zusammen: Bund, Kantone und Waldeigentümer arbeiten daran, diese Defizite durch die Ausweisung von Naturwaldreservaten und aktive Fördermassnahmen zu beseitigen. In den Reservaten wird über einen langen Zeitraum eine natürliche Dynamik ermöglicht: Dadurch entstehen neue Lebensräume für spezialisierte Arten wie den Grauspecht oder den Langhornbock. Verschiedene Maßnahmen, z. B. die Beseitigung alter Inseln in Wirtschaftswäldern und die Förderung von Arten und Lebensräumen in Sonderwaldreservaten, fördern zudem die biologische Vielfalt der Wälder. Diese vielfältigen Schutz- und Fördermaßnahmen ergänzen eine naturnahe Forstwirtschaft und sind von zentraler Bedeutung für den Erhalt der Waldbiodiversität. Von der hohen Artenvielfalt der Wälder profitieren auch wir Menschen: Artenreiche (Schutz-)Wälder sind stabiler als monotone Wälder. Gerade im Klimawandel sind sie widerstandsfähiger und schützen uns besser vor Naturgefahren.
Für mehr Natur, auch in der Stadt
Der Nutzen der Biodiversität im Kampf gegen den Klimawandel ist auch in städtischen Gebieten sichtbar. Die Bodenversiegelung hat in unseren Städten und Dörfern in den letzten Jahren zugenommen. Umso wichtiger ist es, städtische Grünflächen und Gewässer auszubauen und zu vernetzen. Auch artenreiche Grünanlagen, Baumreihen, Bäche und Kleingewässer kommen der Bevölkerung zugute: Sie beleben das Stadtbild, bieten sich als „Oasen der Ruhe“ an und lindern die Hitze in Städten – eine Leistung, die dadurch immer wichtiger wird Klimawandel.
Kleine Taten, große Erfolge
In den letzten Jahren haben die Regierung und private Organisationen zahlreiche Initiativen gestartet, um die Artenvielfalt in Wohngebieten zu fördern und die ökologische Vernetzung mit der Umwelt zu verbessern. Ein Beispiel hierfür ist die Gemeindesiedlung Fröschmatt in Bern-Bümpliz. Durch die Verknüpfung der nahezu naturnahen Außeninhalte mit der Umwelt konnten bereits nach anderthalb Jahren 75 verschiedene Tierarten am Standort beobachtet werden. Vier Jahre später wurden in Fröschmatt 120 Arten gezählt, darunter der Kleine Purpurfalter, der Hausrotflügel und die Mauereidechse. Auch Besitzer privater Gärten können einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung leisten. Viele Arten nutzen naturnahe Gärten als „Quellenlebensräume“. Je mehr solcher Gärten angelegt werden und je näher sie beieinander liegen, desto größer ist der Nutzen für die Natur.
Ob in der Stadt, in den Alpen oder im Wald: Die Artenvielfalt kann letztlich nur dann erhalten bleiben, wenn sich alle – vom Gartenbesitzer über den Waldbesitzer und den Landwirt, vom Architekten über den Planer bis zum Verbraucher – dafür einsetzen. Zahlreiche bereits ergriffene Finanzierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen zeigen, dass sich der Aufwand auszahlt. Nicht nur wegen der Natur. Aber zum Wohle von uns allen.
Neue Veröffentlichungen zum Zustand der Biodiversität
Biodiversität in der Schweiz
Zustand und Entwicklung. im Jahr 2023
Gefährdete Arten und Lebensräume in der Schweiz
Synthese roter Blätter. im Jahr 2023
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Letzte Änderung 22.05.2023
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